Mein Steuerhaus

Früher hat der Großvater hier gesessen, oder wohl doch besser gestanden. Der Eildampfer der Schlesischen Dampfer-Compagnie ist angestrengt den Fluß hinaufgestampft oder rasch hinabgeglitten. Der Großvater stand hier in seinem Steuerhaus, hat den Fluß beobachtet, der die Oder war, die Warthe oder die Elbe. Er fuhr zweimal wöchentlich die Strecke Berlin – Stettin durch den Hohenzollernkanal, später Magdeburg – Berlin –Breslau und Magdeburg – Hamburg. Von hier aus konnte er den Blick gleiten lassen über die kleinen Dörfer und die großen Städte, an denen er vorbeizog. Jahrelang, jahrzehntelang. Er kannte seine Flüsse, alle Untiefen und Stromschnellen, alle Haltepunkte und Ankerplätze. Vom langsamen Schleppdampfer hatte er auf dieses Eilschiff gewechselt, und es mußte ihm wohl manchmal Stolz angekommen sein, daß er, der Schiffsjunge aus dem kleinen Dorf, es bis zum Schiffsführer gebracht hatte. Aber der Stolz hielt seinen Blick klar, ließ ihn Gefahren umschiffen. Die Befehle gab er von hier. Er blieb auf dem Schiff, bis es verschrottet wurde, dann war er alt, ebenso wie der Dampfer. Das ist an siebzig Jahre her.

Er erbat sich vom Schiffseigner das Steuerhaus, ließ es auf den Schleppdampfer seines Sohnes verfrachten, überwachte den Transport die Elbe abwärts und dann durch den Kanal, das Umladen auf das Pferdefuhrwerk des Gutes, wo die Schwiegertochter arbeitete. Als er es auf den Hof des Hauses stellte, schlug seine Frau die Hände über dem Kopf zusammen.

- Mann, was willst du mit der Schaluppe?!

- Das wird meine Werkstatt, bestimmte er, stellte eine Werkbank hinein mit Amboß, Schraubstock, Schleif- und Handbohrmaschine. Die Tür stand immer offen, er brauchte Licht und Luft. So manches Stück aus Haus und Garten wurde hier repariert. Seine Frau konnte ihn vom Küchenfenster aus sehen, wenn er gebückt über seiner Arbeit stand. Manchmal sah sie ihn vielleicht auch aufrecht, sein Schiff befehligend, der Blick ging dann durch das Haus hindurch, als hätte er den blinkenden Lauf des Flusses vor sich.

Die Frau des Sohnes nagelte nach dem Tod des Alten Bretter vor die Fenster, verbannte das nicht mehr genutzte Werkzeug in eine finstere Ecke des Stalles, und als ihr Mann zu Weihnachten Urlaub von seinem Flußdampfer nahm, holte er bereits Holz und Kohlen aus dem neuen Schuppen, der ehemaligen Werkstatt und dem noch ehemaligeren Steuerhaus. Es gefiel ihm nicht, aber er konnte auch nicht gegen die Selbständigkeit angehen, die seine Frau durch die monatelangen Trennungen erreicht hatte. So blieb das Steuerhaus ein Schuppen, wieder über Jahrzehnte hinweg.

Der Sohn des Großvaters war alt geworden und gestorben, der Enkel mit seiner großen Familie ins Haus gekommen, und es fehlte an Platz. Die oft vernommenen Ratschläge, das alte Haus zu erweitern, aus- oder umzubauen, blieben unerwidert, der Blick schweifte weiter, fiel auf das gewölbte Dach des Schuppens, und man erinnerte sich. Der Platz war gefunden. Die meisten der Bretter wurden erneuert, ein großes Fenster eingesetzt, ein schmales Regal gebaut, ein Tisch gezimmert, ein Kanonenöfchen, noch aus dem Nachlaß des Großvaters, gesetzt.

Und nun ist hier mein Ort. Das Öfchen strahlt in wenigen Minuten Wärme aus, erzeugt durch Holz- und Kohlenabfälle. Hinter mir, durch eine Drehung des Oberkörpers zu erreichen, ist der Stapel Schreibpapier, und es stehen dort einige Bücher, an denen mir besonders liegt. Neben mir, auf der Erde, schnarcht leise das Hündchen. Vor mir ist das große Fenster, an das ich Gardinen gehängt habe, die aber ständig zur Seite geschoben sind, damit ich hinausblicken kann auf Hahn Paulchen mit seinen sieben Hühnern, auf den großen Apfelbaum, der gleichzeitig Kletterbaum unserer Kinder ist, auf den Schulgarten, in dem ich meinen Sohn sehen kann, wenn im Herbst keine Blätter mehr und im Frühjahr noch keine Blätter an Bäumen und Sträuchern sind. Ich sehe das Unkraut in den Erdbeeren, für die ich verantwortlich bin.

Doch manchmal sehe ich auch den Fluß, blinkend, verlockend, für mich immer wieder voller Überraschungen. Ich suche meinen Weg und bin froh, ihn auch durch Untiefen und Stromschnellen gefunden zu haben. Aber an den Tagen, an denen morgens Nebel mir den Blick verhängt, an denen der Lauf des Flusses mir verborgen bleibt, da ist es dann besser, rechtzeitig Anker zu werfen, wie der Großvater sagen würde.