Leseprobe:

 

28.3. Dienstag: ... Ein kleiner Affe springt gerade vorbei, bettelt zwei Nepali an, die Apfelsinen schälen. Ein Kuckuck ruft, der erste in diesem Jahr, und ich klopfe mir ans Hosenbein, wo in einer verdeckt von innen eingenähten Tasche über 1000 DM versteckt sind! Meine Sicherheit für die Rückkehr nach Europa. Ein Mönch steht in meiner Nähe und schneuzt sich mit den Fingern gründlich die Nase, ein tolles Geräusch, werde nachher aufpassen müssen, nicht auszurutschen. Jemand kommt mit Videokamera die Treppen herunter, ich störe wohl sein Motiv, denn der Mönch sitzt jetzt neben mir. Touristen sind zum Weglaufen, möchte selbst am liebsten unsichtbar sein. Hier in der Nähe zum Heiligtum konzentrieren sich offenbar die Ausländer, mit kurzen Hosen und künstlich zerschlissenen Hosenbeinen besonders fehl am Platze aussehend.

Die Armut überall ist unvorstellbar, für unsere Begriffe. Doch was, wenn unsere Begriffe nicht stimmen? Eigentlich handelt es sich nicht um Armut sondern um außerordentliche Genügsamkeit. Vielleicht machen deshalb die Menschen keineswegs, wie man bei uns sagen würde, einen asozialen Eindruck. Im Gegenteil, sie erscheinen zufrieden, mit sich und der Welt im Reinen. So ganz anders als in Amerika. Dort hatte ich immer das Gefühl von bodenloser Unzufriedenheit und großer Gewaltbereitschaft, was daran liegen könnte, daß die Armen in den USA stets und ständig den Reichtum vor Augen haben und ihnen der ungerechte Unterschied in den Lebensweisen deutlich bewußt wird. Hier sind alle gleichermaßen arm oder besitzen gleichermaßen wenig Überflüssiges.

Dafür aber sind sie sehr gläubig. Da macht es offenbar keinen Unterschied, ob man dem buddhistischen oder hinduistischen Glauben angehört. Überhaupt erstaunlich und mir noch nirgendwo begegnet, wie sich zwei Weltreligionen vermischen, ja geradezu durchdringen, auf engstem Raum wohlgemerkt. Das geht soweit, daß in der gleichen Tempelanlage z.B. oben in Swayambunath gleiche Gottheiten von Hindus und Buddhisten, nur in unterschiedlicher Bedeutung, verehrt werden. So ist die Göttin Hariti für die Hindus Pockengöttin und für Buddhisten Schutzgöttin der Kinder. Eigentlich eine unglaubliche Toleranz, unglaublich allerdings nur für uns, die wir mit dem ersten Gebot der christlichen Religion (du sollst keine anderen Götter haben, neben mir) aufgewachsen sind. Vielleicht gibt es in diesen Regionen auf diesem Gebiet noch sehr viel für uns zu lernen.

Die Touristen, die seit einigen Jahren weitgehend ungehindert ins Land strömen, werden dieses Gefüge durcheinanderbringen mit ihrem unverschämt vielen Geld. Damit werden Wünsche und Hoffnungen geweckt, die ohne den Verlust der eigenen Identität nicht realisierbar sind, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Und wer diese neuen touristischen "Kühe" am besten melken kann, wird sich irgendwann sehr schnell über seine Landsleute erheben. Nur, welcher Menschentyp ist am besten in der Lage, andere möglichst erfolgreich zu schröpfen?

Beobachte gerade zwei dieser "Erfolgreichen" bei der Arbeit. Einer macht nichts anderes, als vorbeikommenden Ausländern freundlich lächelnd einen roten Punkt (Tika, bestehend aus Joghurt, Reis- und Farbpuder) auf die Stirn zu malen. Fast jeder läßt sich das höflich zurücklächelnd gefallen. Der Partner tritt einen Moment später recht energisch dazu und bittet zur Kasse. Fast jeder Fremdling möchte keinen Ärger und bezahlt. Das könnte ein Beispiel für den Beginn einer ganz unguten Entwicklung sein, Geld ohne wirkliche Gegenleistung. Und das in einem Land, in dem jede Dienstleistung nur Pfennige wert ist und auch handwerkliche Arbeit kaum höher geschätzt wird. Irgendwann gerät, so finde ich, die ganze Wirtschaftsstruktur durcheinander. Nepal hätte sich nie für den Fremdenverkehr öffnen dürfen. Visakosten von 1000 DM und mehr, beschränkt auf allerhöchstens 5 - 10.000 Visa im Jahr, das könnte vielleicht vor dem Kollaps bewahren. Aber so? Was nützen dem Land die 123 DM, die ich für einen Aufenthalt von bis zu 60 Tagen zu zahlen hatte, oder gar die 38 DM für den Kurzbesuch der Pauschaltouristen? Wohin gehst Du, Nepal? Ich fürchte, in eine sehr schwierige Zukunft.

Oben auf Swayambunath ein weiter Blick über die Stadt und das Tal von Kathmandu. Schwer vorstellbar, daß dieses Heiligtum schon zu Beginn der christlichen Zeitrechnung vorhanden war. Leider sind hier neben den Gläubigen und Fremden übermäßig viele Bettler versammelt. Es ist deprimierend, nicht allen etwas geben zu können. Die extra dafür eingetauschten Ein- und Zweirupienscheine sind schnell ausgegeben. ...