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Leseprobe:
19.1. Montag: Die Sonne ist seit etwa einer Stunde aufgegangen, es ist kurz vor 7.00
Uhr, die Straße völlig leer, Halls Creek macht einen menschenverlassenen Eindruck. Denke,
gut ausgeruht zu sein und werde deshalb zuerst eine kleine Sightseeing Tour nach Old Halls
Creek unternehmen. Bereits gestern war ich ein wenig in diese Richtung gefahren und habe
dabei den Friedhof fotografiert. In Old Halls Creek sollen Reste aus der Goldgräberzeit,
Kneipe, Post und Polizeistation (was sonst) zu sehen sein. Hoffe auf eine funktionierende
Post. Auch dem Denkmal von Russian Jack, einem Goldgräber der seinen erkrankten Freund
über 300 km mit der Schubkarre zum nächsten Arzt gebracht hat, möchte ich die Ehre
erweisen. Nun ja, es ist vielleicht nur eine Story. Wer das Klima nicht kennt, denkt
ausschließlich an die Entfernung. Aber 300 km unter diesen Bedingungen, das bewegt sich
für mich im Reich der Fabel. Wenn's wirklich so gewesen sein sollte, hat der Mann sein
Denkmal redlich verdient. Außerdem - vielleicht finde ich so nebenbei einen kleinen
gelben Klumpen, das soll nämlich auch heutzutage durchaus noch vorkommen.
Nichts gefunden, nicht einmal den Ort. Die Piste war nach einigen Kilometern völlig
gesperrt und aufgerissen, ich weiß nicht warum. Muß ich mit meinem mitgebrachten Geld
auskommen und zusehen, daß ich in irgendeiner größeren Siedlung mit Bank oder
wenigstens Bankautomat, neues besorge.
Und jetzt auf nach Wyndham, einem alten Hafen am Indischen Ozean, der nördlichste von
Westaustralien. Es ist nicht allzu weit, nur runde 360 Kilometer. Weiß noch nicht, ob
dort das Ende der Tagesetappe ist, der Weg nach Darwin ist um vieles länger, es gibt aber
kaum Siedlungen dazwischen. Auf jeden Fall habe ich meine geliebte Sonne von der rechten
Seite, das heißt also, ich fahre weiter auf dem Great Northern, der jetzt einen Schwenk
genau nach Norden getan hat. Das Kimberley Plateau, größer als alle neuen Bundesländer
zusammen genommen, bleibt linker Hand. Es soll eine der abgelegensten Ecken ganz
Australiens sein, eine offene Savannenlandschaft, gespickt mit gewaltigen uralten Baobabs
und von großer landschaftlicher Schönheit. An Straßen gibt es nur den Northern Highway
und eine unbefestigte Piste mitten durch die Berge, vor deren Befahren aber stets
abgeraten wurde. Erst recht zu dieser Jahreszeit und ohne eigenen Satellitenfunk. Werde
dadurch kaum in den Genuß kommen, einige der kuriosesten Lebewesen des Kontinents mit
eigenen Augen zu sehen. Auf die nur in australischen Binnengewässern vorkommenden
Johnston-Krokodile (Kennzeichen: schmale spitze Schnauze) kann ich verzichten, einige
harmlosere Thermometerhühner hätte ich aber ganz gern zu Gesicht bekommen. Dieses
Federvieh brütet seine Nachkommen nicht selbst aus, sondern verscharrt die Eier in Sand
und Pflanzenresten. Bis zu 5 m hohe und 12 m Durchmesser aufweisende Gebilde sollen so
entstehen. Die durch Verrottung der pflanzlichen Bestandteile entstehende Wärme wird zum
Brüten genutzt, allerdings sind stets 33 35 ° C einzuhalten. Da Hühner nicht
lesen können, entwickelten die Hähne eine besonders wärmeempfindliche Zunge, mit der
ständig die Temperatur kontrolliert und durch Auf- oder Abscharren von Erde reguliert
wird. Bemerkenswert ist ferner die Brutdauer von 8 - 9 Monaten und die Tatsache, daß die
geschlüpften Küken sofort selbständig sind und bereits nach einem Tag fliegen können.
Eben angehalten und einen wunderschönen grün-weißen Tanklaster mit drei Anhängern
fotografiert. Die verkehren zwischen Wyndham und Alice Springs im Zentrum, versorgen auch
die Minen am Tanami Treck, sind für das halbwegs zivilisierte Leben im Inneren des Landes
unersetzlich. Vielleicht war es der Fahrer, von dem ich vorher schon gehört hatte, der
Straßenküsser.
Die Berg- und Hügelketten erinnern mich an das Innere von Südspanien, allerdings ohne
die dort üblichen Olivenbäume. Hier wachsen nach wie vor fast ausschließlich
Eukalypten. Bis auf den mit laufendem Motor (wegen der Klimaanlage) stehenden Tanklastzug
habe ich auf den ersten 100 Kilometern niemanden getroffen. Sollte man in diesem Gebiet
vom Regen überrascht werden, ist man auf sich selbst angewiesen und wenn es schlimm kommt,
im Nu eingeschlossen. Zurück gehts dann auch nicht mehr, die vorher freien Furten sind
eine halbe oder ganze Stunde später ebenso unpassierbar. Da bleibt nur, sich irgendwo
einen hohen Punkt zu suchen und zu hoffen, daß die Flut in ein paar Tagen abgelaufen ist
und es keine Wochen mit Regen werden.
Der Himmel, toi toi toi, ist klar. Gestern, die dicken Wolken mit Blitz und Donner
erwiesen sich lediglich als Warnung. Da, wo wir waren, wo ich war, in Halls Creek, blieb
es trocken. Denke schon im Plural, mein Auto eingeschlossen. Habe inzwischen eine fast
persönliche Beziehung zu meinem fahrbahren und so sehr wichtigen motorisierten Untersatz.
Wenn mich nicht alles täuscht, klingt der Motor schon ein bißchen anders, klingeln ganz
leicht die Ventile. Ich hoffe, er hält die nächsten paar tausend Kilometer durch, auf
jeden Fall aber die etwas über tausend bis Darwin. Komisch: zum Auto entwickelt sich eine
fast menschliche Beziehung und zum eigenen Körper eine mechanische. Der Körper als
Maschine. Gerade wieder alles durchgecheckt, keinerlei Beschwerden, genügend Wasser
nachgefüllt, alles in Ordnung. Das ist wirklich sehr viel wert, was man erst in solchen
Situationen bemerkt. Er ist praktisch nicht fühlbar vorhanden, kann mich voll auf
äußere Umstände wie Landschaft und Wetter konzentrieren.
Die erste Wasserprobe habe ich gut überstanden, bei 128,7 km eine Furt durchfahren.
Plötzlich verschwand die Straße vor mir tatsächlich in einem Fluß. Oje. Zum Glück
führte er nicht zu viel Wasser. Ich stieg aus, um mir die Sache näher anzusehen und
konnte ungefähr die Tiefe abschätzen. Überlegte an der Stelle ein letztes mal, ob die
Rückreise auf der gleichen Strecke nicht vernünftiger wäre und bin dann auf der rechten
Seite vorsichtig durchgefahren, wahrscheinlich zu schnell, es hat beängstigend gerauscht.
Chris getroffen und eine Weile miteinander geredet. Dachte zuerst nicht richtig zu
sehen, als kurz nach der Wasserdurchfahrt ein Radfahrer vor mir auf der Straße
strampelte. Fuhr mit kurzem Hupen zum Gruß an ihm vorbei, stoppte jedoch wenig später an
einer geeigneten Stelle und erwartete ihn mit bereitgehaltenem Fotoapparat. Er kam dann
auch fröhlich lachend auf mich zu und hielt. Lediglich mit dünnem Hemd, Hose und Mütze
bekleidet, war er in dieser mörderischen Hitze auf dem Weg ins ungefähr 800 km entfernte
Katherine. Er kam auch von dort, hatte in seinem Urlaub eine Radtour nach Halls Creek
unternommen, insgesamt ungefähr 1.900 Kilometer. In Katherin arbeitet er als Bankkaufmann
in einer Bankfiliale. Na das war eine Überraschung, treffen sich doch im Nichts zwei
Bankkaufleute (das habe ich vor vielen Jahren immerhin mal als richtigen Beruf erlernt!).
Hört sich an wie der Anfang eines Witzes. Beide haben eine besondere Beziehung zum
Radeln, meine letzte Radtour bis weit hinter den Polarkreis war ja auch nicht ganz
alltäglich. Er fährt in der Hitze, wir fuhren in der Kälte. Sein Rad war aber genau so
vollgepackt, wie vor einigen Jahren unsere Drahtesel. Auch er führte eine komplette
Zeltausrüstung mit sich, findet für seine Übernachtungen natürlich nicht jedesmal ein
Rasthaus. Während wir viel Kleidung schleppten, war bei ihm jeder freie Platz am Rad mit
Wasserflaschen belegt. Wir tauschten eine ganze Weile unsere Erfahrungen aus, probierten
wechselseitig unsere Kraftnahrung, fotografierten uns. Er freute sich, einmal jemanden aus
Deutschland, dessen Existenz und Lage in Europa er gut zuordnen konnte, zu treffen.
Nachdem er mich wegen des Wetters beruhigt hatte, ab Kununura sollen die Durchfahrten
nicht mehr so kritisch sein, setzten wir unsere so unterschiedliche Fahrt in die gleiche
Richtung fort. Ein langes dreimaliges Hupen grüßte ihn, bevor uns die nächste Kurve
trennte. Gute Reise, Chris!
Tja, da habe ich also heute auf 135 Kilometern ein Auto und einen Radfahrer getroffen.
Mit 50 % ist die Radfahrerdichte im australischen Outback einfach phänomenal! Australien
- der Kontinent der Radler.
Wenn ich über eine der zahlreichen Bergkuppen fahre, erwarte ich in der Ferne das Meer
zu sehen. Nach so viel Land lechze ich förmlich nach Wasser, aber immer nur erneute
endlose grüne Weite. Gerade mein zweites Frühstück eingenommen, zwei Scheiben
getrocknetes (im Auto) Weißbrot (schmeckt fast wie Toastbrot) und den Rest der letzten
Gurke. Noch 170 km bis Wyndham. Die Straße ist jetzt sehr schmal geworden, ohne
Mittelstreifen. Muß sehr auf plötzlich erscheinendes Wild aufpassen.
Der Victoria Highway biegt rechts ab. Er wird mich in den nächsten Tagen rüber zum
Stuart Highway und damit wieder in befahrenere Gegenden bringen. Mein Ziel ist zuvor
Wyndham am Cambridge Gulf. Ursprünglich als Hafen für die Versorgung der Menschen in den
Goldgruben gegründet, beliefert er heute die Umgebung (bis Alice Springs sind es ja nur
1.500 km!) mit Treibstoffen und ist für die Verschiffung von Rindern und Baumwolle
zuständig. Außerdem möchte ich den Ort sehen, der durch eine schöne australische
Schildbürgerei berühmt wurde. Vor Jahren sollte für die große Siedlung mit gewisser
ökonomischer Bedeutung - immerhin mehr als 2.000 Einwohner leben dort - ein neues großes
Polizei- und Zollgebäude gebaut werden. Es wurde gebaut und auch fertiggestellt, nur, zur
Einweihung (sogar Ehrengäste der Regierung waren angereist) war in Wyndham kein
Polizeigebäude vorhanden! Erst da bemerkte man den Irrtum, daß es in New South Wales auf
der anderen Seite des Kontinents ebenfalls ein, mit 100 Einwohnern allerdings sehr kleines
und unbedeutendes, Wyndham gab. Dort thronte tatsächlich das komfortable Gebäude, das
dem Vernehmen nach, heute als Umkleideraum für den örtlichen Sportverein genutzt wird.
Also schimpfen wir nicht immer über die deutschen Beamten, auch andere Länder haben
unfähige Staatsdiener. Schwacher Trost. |
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