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29.12. Sonnabend, Port Louis/Mauritius
Schon zeitig aufgestanden und die Einfahrt nach Port Louis angesehen. Nach einer Woche auf dem Wasser freut man sich, wieder Land vor Augen zu haben. Insgesamt waren wir jetzt bereits 50 Tage ausschließlich auf See unterwegs, morgens, mittags, abends nur Wasser, Wasser, Wasser. Unglaublich! Die heutige Hafeneinfahrt verlief unspektakulär, es klappte alles. Die dünnen Leinen, mit der die schweren Trossen an Land gezogen werden, erreichten bei jedem Wurf des dafür abgestellten Mitglieds der Besatzung ihr Ziel. Manchmal wurde dafür auch eine kleine Kanone benutzt, die die Leine an Land schießt. In Australien zielten sie mal zu hoch und das ganze Geschludere landete in einem am Ufer stehenden Baum.
Jetzt haben wir also Mauritius an unserer Backbordseite, ein durchaus bemerkenswertes Land. Laut Wikipedia handelt es sich um eine, für den afrikanischen Raum gesehen, gefestigte parlamentarische Demokratie. Bei nur 1,4 Millionen Einwohnern kann es ja auch nicht so viele verschiedene Meinungen geben wie in Deutschland! Die allgemeinen Menschenrechte sollen hier im Wesentlichen respektiert werden. Allerdings gäbe es einige Einschränkungen. Gefängnisse sind überbelegt, Sicherheitskräfte foltern und misshandeln Verdächtige, Gewalt und Diskriminierung gegenüber Frauen gibt es, auch Missbrauch und sexuelle Ausbeutung von Kindern. Journalisten werden eingeschüchtert, Arbeitnehmerrechte beschränkt, HIV-Infizierte werden geächtet und für gleichgeschlechtliche Beziehungen gibt es laut Gesetz bis zu 5 Jahre Gefängnis. Nun ja, bis nach Afrika ist es nicht mehr weit, nur 1.800 Kilometer Wasser trennen uns vom Kontinent, zu dem geologisch Mauritius gehört. Dessen Landmasse insgesamt beträgt rund 2.000 Quadratkilometer (zur besseren Vorstellung: ungefähr eine Fläche von 50 x 40 Kilometern). Dieses Land ist noch dazu auf zahlreiche Inseln verteilt. 600 Kilometer östlich gibt es z. B. die Insel Rodrigues und über 1.000 Kilometer nördlich die Cardagos Inselgruppe sowie die Agalega Inseln mit 287 Einwohnern (laut Volkszählung im Jahr 2000!). Ganz Mauritius also ein weiterer Fliegenschiss im großen Ozean.
Auch die Besiedelungsgeschichte ist interessant, beteiligte sich doch halb Europa daran. Ab Entdeckung der Inseln 1505 durch Pedro Mascarenhas portugiesischer Besitz, danach bis 1710 Holländisch, bis 1810 Französisch und schließlich bis 1968 Britisch. Ursprünglich waren die Inseln unbewohnt (es gab auch keinerlei Säugetiere), die Europäer nutzten später das Land und bauten vorwiegend Zuckerrohr in Monokultur an (noch heute wird 90 % der landwirtschaftlichen Fläche für Zuckerrohranbau verwendet). Als Arbeitskräfte importierten die Kolonialherren Menschen zuerst aus Afrika und nach Beendigung der Sklaverei aus Indien. Das führte dazu, dass heute über zwei Drittel der Bevölkerung indischer Abstammung und 27 Prozent Kreolen sind. Dazu lebt noch ein geringer Anteil Chinesen und Europäer auf den Inseln. Mauritius zählt heute zu den wirtschaftlich gestärkten Ländern Afrikas. Die Lebenserwartung ist die höchste von allen Staaten in Subsahara-Afrika, die Geburtenrate die niedrigste. Und besonders bemerkenswert: seit der Unabhängigkeit 1968 gehört es zu den weltweit 25 Staaten ohne Militär.
Da Mo heute einen Ausflug zum Schnorcheln gebucht hatte, war sie schon früh in heller Aufregung. Wecker stellen für 6.00 Uhr, obwohl die Abfahrt erst um 8.45 Uhr vorgesehen war. Aber Schnorchelsachen zusammen suchen, alles verpacken, Handtuch, Ticket, Sonnenbrille, Bordkarte nicht vergessen, der pure Stress. Frühstücken durfte ich allein, sie wollte sich schon anstellen, um den Bustransport zum Strand nicht zu verpassen.
Nach gemütlichem Frühstück verließ ich kurz vor 9.00 Uhr ohne jegliche Wartezeit das Schiff. Die eiligen Leute saßen alle bereits in den organisierten Bussen und warteten auf Nachzügler. Erst vor dem Hafenausgang dann das Übliche. Heerscharen von Taxifahrern und Leute, die Touren über die Insel anboten. Taxi, Taxi klang es von allen Seiten und laufend hatte jemand ein anderes Angebot, Einstiegspreis für die Verhandlung meistens 100 Euro. Auch hatte man sich offenbar abgesprochen, die Fahrt ins vielleicht zwei Kilometer entfernte Zentrum sollte 10 Euro kosten. Ich marschierte einfach in Richtung Stadt und schon bald hielt jemand, der mich für 5 Dollar kutschierte. Ließ mich im Bankenviertel absetzen, hob mit der Kreditkarte einheimisches Geld ab, kaufte Ansichtskarten und Briefmarken in der Post und erfragte den Weg zur Busstation. Da ich auch eine Marke mit dem geringsten Wert als Andenken wollte, schließlich war Mauritius das fünfte Land in der Welt, welches Briefmarken einführte und es dem Angestellten endlich dämmerte, was ich beabsichtigte, schenkte er mir eine 1 Rupie Marke. Leider ist sie weder rot noch blau und Penny heißt sie auch nicht. Die millionenschwere 1 Penny blaue Mauritius befand sich zumindest ganz in der Nähe, im leider gerade geschlossenen Postmuseum. Hätte ich mir die zweite noch existierende Marke doch nur letztens bei der englischen Königin genauer angeschaut…
Der Busbahnhof war dann schnell gefunden, aber welches Durcheinander. Bei der Wahl des Reiseziels ging ich nach der geographischen Struktur der Insel, suchte also exponierte Flächen, wie z. B. ein Kap. Dann berücksichtigte ich die Bevölkerungsdichte der einzelnen Provinzen. Entschied mich letztlich für zwei schwach besiedelte Gebiete mit auffälligem Gelände, schrieb die Namen auf einen Zettel und versuchte den betreffenden Bus zu erfragen. Leider standen beide Namen zu dicht beieinander, was wiederum die Auskunft gebenden Leutchen verwirrte. Es war auch äußerst schwierig, das französisch-kreolisch gesprochene Englisch der Einheimischen zu verstehen, man zappelte mit Händen und Füßen herum, wie Kaspar an der Strippe. Aber irgendwann regelt sich alles und ich fand tatsächlich unter den etwa 30 herumstehenden Bussen das gewünschte Fahrzeug, was sich tatsächlich kurz darauf auf die 2 ½ stündige Reise machte. Die gesamte Entfernung betrug aber höchsten 50 Kilometer, der Bus stoppte alle 500 Meter und nahm weitere Fahrgäste auf.
Aber was für einem Klapperkasten auf Rädern hatte ich mich anvertraut! Alle Fenster, falls vorhanden, waren wegen der Hitze geöffnet. Dann die spartanische Einrichtung, blankes Metall die Rückenlehne, keine Polsterung der Sitzfläche, ruckelnder Motor, der wie die anderen Busse eine beachtliche Rauchfahne hinter sich her zog. Die Bremsen blockierten regelmäßig bei geringer Geschwindigkeit und brachten das Fahrzeug jedes Mal mit einem Ruck zum Halten. Im Bus darf vielleicht auch deshalb nicht gestanden werden, folglich teilen sich drei Leute zwei Plätze, was für zusätzliche menschliche Wärme sorgt. Auf den Stufen des hinteren Ausgangs hockten ebenfalls Passagiere. Auf den vorderen ging das nicht, denn die Tür blieb während der Fahrt geöffnet. Lediglich der Schaffner, dieser Service ist hier immerhin selbstverständlich, balancierte dort herum. Manchmal drängte er auch sein Hinterteil auf die Ablage unter der Windschutzscheibe. Neben dem Kassieren ist seine Aufgabe, für geordnetes Ein- und Aussteigen zu sorgen. Fahrgäste dürfen sich erst erheben, wenn der Bus steht und zwar auf sein Handzeichen hin. Die andere Hand ist erhoben und hält die Einsteigenden solange zurück. Die Hand gesenkt, sofort drängen neue Leute ins Innere. Ein Schlag gegen den Glaskasten, in dem der Fahrer hockt und ab geht es in den Linksverkehr. Die Fahrer scheinen allesamt gerade aus der Hölle geflüchtet zu sein und wähnen den Teufel immer noch hinter sich her. Richtig spannend zu sehen, wie, den Crash vor Augen, sich alles zum Guten regelt. Außerdem funktioniert die Hupe. Solch eine Busfahrt mit dem Hauptverkehrsmittel der Insel ist schon ein Erlebnis und das für nur ganz wenig Geld.
Nach und nach hatte ich die vordere Sitzbank erobert und damit die beste Sicht und die meiste Luft. An einen eventuellen Unfall (innerhalb der ersten beiden Stunden hatte ich schon zwei Auffahrunfälle gezählt!) verbot ich mir zu denken. Ein Frontalzusammenstoß bei den teils hohen Geschwindigkeiten könnte durchaus tödlich sein. Genauso, wie das Rauchen…
Allerdings war es schwierig, im rumpelnden, anfahrenden, abbremsenden, in die Kurve schießenden Fahrzeug zu schreiben. Deshalb nur kurze Eindrücke zur Erinnerung. Port Louis ist groß, wie in Europa gibt es einen Kranz von Gewerbeeinrichtungen um den Wohnbereich, viele Autos auf den Parkplätzen der Einkaufszentren, ein großer Glaspalast von BMW, Zuckerrohrfelder bis unmittelbar an die Bebauung. Die Felder werden teilweise bewässert, manchmal recht primitiv mit einer Art Rasensprenger. Überall hängt Wäsche zum Trocknen, auf den flachen Dächern sieht es aus, als würden dort tibetische Gebetsfahnen wehen. Es gibt zahlreiche Kirchen, aber nicht annähernd so viele wie auf den Südseeinseln. Es gibt Moscheen, es gibt bunte Tempel mit vielen kleinen Figuren rundherum. Bankautomaten in Steinhäusern befinden sich manchmal direkt neben primitiven Blechhütten. Viele Passanten benutzen Regenschirme als Sonnenschirm, besonders indischstämmige Frauen in bunten Saris sehen damit sehr elegant aus. Häufiger Straßenhandel, alles Mögliche und Unmögliche wird angeboten (Obst, Gemüse, Taschen, Töpfe, Stühle, Tische, Teppiche und immer wieder Kleidung). Gerade gefangene Fische hängen aufgefädelt wie Lampions auf Leinen in der Sonne, der Geruch dringt bis in den vorbei fahrenden Bus. Vier schwarze Kinder werden vom Schaffner abgewiesen, obwohl noch Platz vorhanden ist. Wenig Polizisten im Straßenbild und wenn, stehen sie meist paarweise an Straßenecken herum, Fahrzeugen mit Blaulicht und Sirene wird nur widerwillig Platz gemacht. Seitenstraßen sind oft sehr eng (höchstens eine Fahrzeugbreite), allerdings viel Grün an den Rändern, einmal fahren wir sogar durch eine alte Platanenallee.
Eine bemerkenswerte Beobachtung: Ein junger Mann rennt über einen Kreisverkehr zum Bus, steigt ein. An der Ausfahrt des Kreisels winkt ein anderer Mann ganz aufgeregt. Der Bus hält, der Mann schwenkt ein Handy über dem Kopf, das der Erste während des Rennens verloren hatte. Die Kassierer werden übrigens fast fortlaufend von anderen Aufpassern kontrolliert. Innerhalb einer Stunde muss unser Mann gleich zweimal sein Geld vorweisen, das mit den ausgegebenen Tickets verglichen wird. Die Insassen müssen ihren Fahrschein vorweisen. Man hat wohl wenig Vertrauen in diese Berufsgruppe. Beobachte tatsächlich, dass sich der junge Mann von einer hübschen Frau kein Fahrgeld geben lässt. Auch transportiert er anscheinend nebenbei irgendwelche Dinge. Einmal rennt er mit einem Beutel in ein Geschäft und kommt ohne, aber mit Gebäck und einer Flasche Fanta zurück.
Das endlich erreichte Kap erweist sich als das erhoffte Highlight, keinerlei Fremdenverkehr, nur ruhiges, fast behäbiges einheimisches Leben. Wenige Meter von der Straße entfernt übernimmt die Natur und liefert unvergessliche Eindrücke. Ich laufe unter Palmen auf einem Sand/Gras Gemisch zum nahen Wasser. Es ist schattig und angenehm kühl. Eine leichte Brise vom Meer her transportiert den Geruch des Wassers. Die ruhige Lagune schimmert grünlich, weiter draußen bricht sich das blaue Meer weiß schäumend am Korallenriff. Regelmäßiger Wellenschlag ist wie ruhiges Atmen bis ans Ufer zu hören. Kein Mensch in der Nähe, erst in einiger Entfernung spielen zwei Kinder, rennen wiederholt am Wasserrand entlang. Auf einer dicken Rasensode sitzend, gemütlich mit dem Rücken an eine Palme gelehnt, bin ich für den Tag angekommen. Südseefeeling im Indischen Ozean…
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